Auch wenn LinkedIn und andere Plattformen ein Interesse daran haben, dass Sie regelmäßig posten: Das muss nicht zwangsläufig auch in Ihrem Interesse sein. Manchmal, wenn ich LinkedIn öffne, durchflutet mich ein ähnliches Gefühl wie bei der Konsumation eines Glückskeks: ich bin ein bisschen enttäuscht, weil es wieder nur ein im Realstrudel des Lebens recht schlecht praktikabler Kalenderspruch ist, der mich erwartet – und ich bin überrascht, weil ich mich frage, wann die Produzenten von Glückskeksen eigentlich ihre Spruch-Datenbank zum letzten Mal aktualisiert haben. Ich nehme an, Sie sind jetzt hinreichend getriggert über die vermeintliche Arroganz des ersten Absatzes, aber lassen Sie mich kurz ausführen: berufsbedingt lese ich recht häufig gute und gut gemeinte Ratschläge über die angemessene Veröffentlichungsfrequenz auf Plattformen wie LinkedIn, meist argumentiert mit irgendeiner Algorithmus-Formel: die höchste Sichtbarkeit erreicht man – je nach Quelle – bei zwei bis fünf Beiträgen pro Woche. Weniger ist schlecht und zu viel ist auch nicht gut und am besten sollten die Postings zwischen Dienstag und Freitag stattfinden, vorzugsweise zu Büroöffnungszeiten, eher nicht am Montag und schon gar nicht am Wochenende. So viel zum Rahmen, den wir alle auszuschöpfen genötigt sind. Es gibt zweifellos Menschen, die diese Frequenz über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten können, andere auf fantastische und stets originelle Gedankengänge mitnehmen, von Schreibblockaden und Stressfaktoren unberührt sind und die insgesamt ein Leben voller spannungsgeladener, inspirierender Momente führen. Die sind es dann, denen man hier oder auch auf anderen Plattformen folgt, die ihrerseits inspirieren. Die Frequenz-Falle Dazu herzlichen Glückwunsch. Doch ehrlicherweise trifft das auf viele von uns nicht zu. Leben und LinkedIn verhalten sich nicht immer tangential zueinander. Was uns wiederum vor eine schwierige Wahl stellt: sich entweder dem Diktat der Sichtbarkeit zu beugen und trotzdem zu posten oder es zu lassen. Aber leider: bloße Sichtbarkeit ist eine ähnlich banale Metrik wie die Zahl der Follower:innen oder der Klicks – und man muss, man sollte sich ihr nicht beugen. Wenn Sichtbarkeit der Preis dafür ist, dass das eigene LinkedIn-Profil frequenzbedingt zur Deponie gedanklicher Rohkost wird, zum Zerrspiegel der eigenen Interessen, der Persönlichkeit, der eigenen Kompetenz, dann ist Sichtbarkeit kontraproduktiv und sie kann toxisch werden - und irgendwann werden dann auch die vielen Inhalte ihrem ungelesenen Ende entgegen kompostieren. Ich meine ja gar nicht, dass in jedem Beitrag abwechselnd eine Weltformel geknackt oder ein Gottesteilchen gefunden werden müsste und dass Politik, Katzen und Essen auf LinkedIn verboten sind, sondern dass ein Beitrag weder wie aus der Retorte wirken, noch ein Musterbeispiel für Komplexitätsreduktion sein muss. Wer schreibt, der brennt für den eigenen Gedanken und er verbrennt manchmal am Schreiben müssen (außer er macht das beruflich wie ich). In jedem Fall aber war da zuerst der Gedanke und erst dann der Blick auf den Kalender. Der Druck der Algorithmen Ganz anders gelagert ist der Fall übrigens bei Menschen und Unternehmen, die etwa Agenturen wie die unsere engagieren, um ihr Profil auf LinkedIn tatsächlich zu schärfen, aber dafür ist viel Planung, viel Recherche und vor allem sehr viel Sensibilität erforderlich. Einem solchen Auftrag gehen oft stundenlange Gespräche, ein Herantasten an das Thema, das Unternehmen, den Menschen, seine Gedankenreisen, seine Sprachgewohnheiten und das Kommunikationsziel voran und eine Einschätzung der Relevanz, die sich bestimmt nicht ausschließlich an algorithmischer Effizienz orientiert. Wir konstruieren auch nichts, was nicht zumindest in Ansätzen da ist, wir schürfen bloß nach Themen, für die unter Umständen manchmal nur die Form fehlt, um sie in Texte zu gießen. Wozu ich also raten kann: lassen Sie sich nicht unter Druck setzen von einer durch Algorithmen geformten Veröffentlichungsroutine. Denn Sichtbarkeit ist manchmal das Gegenteil von gesehen werden. Aber das war jetzt vielleicht schon wieder zu sehr Glückskeks. AutorMartin Schwarz ist geschäftsführender Gesellschafter von AustriaContent und auf LinkedIn oft ziemlich aktiv. Kommentare sind geschlossen.
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Oktober 2023
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