Die Customer Journey? Sind wir schon oft gereist. Sweet Spots? Erkennen wir zielsicher. Content Mission Statements? Darin sind wir routiniert. Doch reicht das? Vielleicht müssen wir darüber nachdenken, mehr Emotion in das B2B Content Marketing zu bringen. Denn einige gesellschaftliche Entwicklungen geben Anlass zur Vermutung, dass Routine und faktenreicher Nutzwert alleine nicht mehr reichen. Worauf es künftig nämlich ankommen wird: Out Market-Buyers zu erreichen. Die Antipode der Gewohnheit ist bekanntlich der Zweifel und für gewöhnlich präferieren wir die Gewohnheit in unserem täglichen Tun: Gewohnheit gibt uns Sicherheit, Redundanz wird zur komfortablen Routine und zum Mittel gegen Fehleranfälligkeit. Zweifel dagegen, die empfinden wir als verzichtbare Störung, als Risiko. Die professionelle Volière, in der wir trainiert wurden, die verlassen wir eben nicht gerne. Im Content Marketing wird diese professionelle Volière üblicherweise von Modellen wie einem Content Mission Statement, Persona-Steckbriefen, Sweet Spots, Funnels in allen Formen und prächtigen Customer Journey-Annahmen und SEO-Etüden begrenzt. Sehr erfolgreich funktionieren diese Modelle seit Jahren, um Content-Strategien zu entwickeln, gerade im B2B-Bereich, die wir dann mit den entsprechenden Inhalten aufladen können. Wir sind geübt darin und es gibt in dem Fall keinen Zweifel, dass es derlei braucht, um Menschen zu den Inhalten zu lenken oder die Inhalte zu den Menschen. Doch so sehr wir es auch vermeiden wollen: wir tun gut daran, uns zu fragen, ob wir vielleicht gerade Zeug:innen einer Entwicklung werden, in der es nicht mehr ausschließlich reichen könnte, den Zweck von Inhalten auf kurze Distanz eingrenzen zu wollen, auf den Lead, den Klick, den Download, den KPI-Snack, den wir alle so gerne bei Präsentationen vor unseren Kund:innen in bunte Folien fassen. Ich habe Anlass zur Vermutung, dass wir bald über mehr sprechen müssen als die gegenwärtig eingrenzbaren Ziele im Content Marketing. Und das hat so einige vielleicht nicht auf den ersten Blick nachvollziehbare Gründe: > Im Jahr 2020 wurde jedenfalls in den USA ein Begriff populär, den man davor nicht kannte: The Great Resignation. Die Corona-Pandemie hat unter den Beschäftigten eine Kündigungslust ausgelöst, die durchaus historisch ist. Enttäuschte, überforderte, unzufriedene und oft zu schlecht bezahlte Mitarbeiter:innen verlassen die Unternehmen, um sich nicht nur in neuen Unternehmen, sondern oft auch in ganz anderen Branchen umzusehen – und das gilt übrigens auch für White Collar Workers. Und wer glaubt, das sei eben ein amerikanisches Phänomen: Nicht wirklich. > Alle vier Jahre, so hat die hiesige Plattform schon vor Jahren festgestellt, wechseln 40 Prozent der LinkedIn-User:innen ihren Job, ihr Unternehmen, die Branche – und die Quote dürfte mittlerweile wohl enorm in die Höhe geschnellt sein. > Zur Great Resignation kommt größere Illoyalität auf Unternehmensebene: die Pandemie hat Unternehmen nicht nur demonstriert, wie ihre Lieferanten an den erschwerten Bedingungen, etwa an Problemen in der Lieferkette, scheitern, sondern dass es Alternativen geben muss. Noch nie war die Bereitschaft, die eigenen Lieferanten zu wechseln, so hoch wie jetzt. > Vor einigen Wochen hat ein Google-Manager einigermaßen verwundert festgestellt, dass junge Menschen die textbasierte Suchmaschine nicht mehr zwangsläufig als Startpunkt ihrer Informationssuche wählen. 40 Prozent der GenZ-Vertreter:innen nämlich beginnen mittlerweile ihre Suche nach einem Restaurant oder einer Bar nicht mehr auf Google oder Google Maps, sondern auf Instagram oder TikTok. Ein US-amerikanischer Marketingexperte wiederum hat erst vor wenigen Tagen auf Twitter gar stolz angekündigt, seinen geplanten Trip nach Europa nicht mit Google zu planen, sondern sich ausschließlich über TikTok-Videos zu informieren. Man weiß nicht, was der gute Mann sich nun auf TikTok-Basis in Europa ansehen wird oder ob das nur ein Marketinggag des Marketingexperten war, aber der Tweet ist immerhin einigermaßen erfolgreich. Auf der Suche nach dem Heuhaufen Um die Herausforderungen dieses Zeitalters der Illoyalitäten für das Content Marketing in ein schiefes Sprachbild einzurahmen: wenn bisher unsere Inhalte die Nadel und die Personas und Zielgruppen die Heuhaufen waren, so müssen wir heute nicht mehr die Nadel, sondern die Heuhaufen suchen. Mitarbeiter:innen, die sich aus oft guten Gründen neue Jobs suchen, Unternehmen, die sich aus oft guten Gründen neue Lieferanten suchen und User:innen, die offenbar immer weniger geneigt sind, sich textbasierter Suchen auf Google zu bedienen, sondern den visuell dominierten und emotionaleren Weg über TikTok oder Instagram nehmen: das ist die Gemengelage, die uns zum Nachdenken anregen sollte darüber, ob wir im Content Marketing weiterhin ausschließlich auf Sicht fahren können – jene Sicht, die begrenzt ist durch unsere Vermutung der gegenwärtigen Interessen unseres Publikums. Emotionale Ebene Ich behaupte mal: nein. Wir sollten uns auch im B2B Content Marketing verstärkt trauen, dieser gegenwartsbasierten und auf kalkülhafter Ratio aufgebauten Konstruktion eine weitere Content-Ebene hinzuzufügen: emotional bindenden Content. Den gibt es im B2B-Segment bisher kaum und was es damit auch kaum gibt, ist die Möglichkeit, Out Market-Buyers zu erreichen, obschon genau die – siehe oben – immer wichtiger werden. Woran wir also zusätzlich arbeiten müssten, wären Inhalte, die heute Menschen an eine Marke, ein Unternehmen emotional binden, von denen wir – das ist die überaus schwierige Challenge – in vielen Fällen noch gar nicht wissen, dass wir diese Bindung benötigen werden – und diese Menschen in vielen Fällen, weil sie noch nicht Entscheider:innen in der jeweiligen Branche sind – eben auch nicht. Es ist also ein Blind Date. Irrelevante Customer Journey Versuchen wir uns einmal ein Szenario vorzustellen: Sie sind Anwalt oder Anwältin und wollen, weil das Ihre Expertise ist, Unternehmen in einer ganz bestimmten Branche beraten. Nun wechseln Unternehmen nicht leichtfertig ihre Rechtsvertretung, vielleicht nur alle fünf Jahre. Würde man das nun – Unschärfe vorausgesetzt – arithmetisch angehen, so würden Sie heute nur 20 Prozent der Unternehmen an einem Pain Point erreichen, der gerade den Wechsel des/der Anwalts/Anwältin nötig macht – und ebenso wohl nur einen Bruchteil der Menschen, die in fünf Jahren schon oder noch in einer Position wären, darüber mitentscheiden zu können, ob es zu einem Wechsel kommt oder nicht. Eben jene Menschen werden Sie auch nicht durch das starre Festhalten an Customer Journey-Modellen von Awareness bis Loyalty erreichen, denn sämtliche der Stationen dazwischen sind in diesem Moment und für diese Menschen ehrlicherweise ziemlich irrelevant. Was Sie also an Inhalten benötigen, ist nicht bloß Content, der Ihre Expertise in einem bestimmten Fachbereich zum Ausdruck bringt, sondern auch Inhalte, die – man verzeihe mir den Anglizismus – die „mental availability“ von Menschen erhöht, die sich heute vielleicht noch gar nicht um solche Themen kümmern müssten. Die Gruppe der Out Market-Buyers wird also größer und ihre Emotionen anzusprechen, eine Bindung zur Marke herzustellen (ja auch durch Content im B2B-Bereich), damit wichtiger. Unternehmen werden sich also wohl verstärkt darum bemühen müssen, Content zu produzieren, der auf die Markenerinnerung einzahlt, Mundpropaganda begünstigt und nicht unangemessen viele Ressourcen in die Loyalität bestehender Personas oder Zielgruppen wirft. Ja, das erfordert einiges an Fantasie und wohl auch an Experimentierlust und schöne, verlässliche Modelle und Folien zum Selberausmalen gibt es dafür noch nicht (jedenfalls kenne ich keine). Doch so wie die Werbung schon längst Out Market-Buyers in ihre Kampagnen einschließt und so wie wir das von B2C-Marken schon längst kennen, so werden wir uns auch im B2B Content Marketing verstärkt über Emotionen und ihre schöne Wirkung für die Markenerinnerung unterhalten müssen. Und damit wir uns nicht falsch verstehen: die Modelle und Methoden, mit denen wir bisher Content-Strategien aufgebaut haben, bleiben gültig und sie bleiben wichtig. Aber es wird unter Umständen eine Perspektive hinzukommen, den wir bisher auch mal ganz gerne im Halbdunkel der eigenen Wahrnehmung haben ruhen lassen. Vielleicht irre ich mich ja auch. Aber so manche Erkenntnis beginnt ja bekanntlich mit einem Irrtum. Ende September werde ich übrigens bei einem Webinar ein paar Lösungsansätze bieten, wie emotionales Content Marketing im B2B-Bereich aussehen könnten. Wenn Sie dabei sein möchten: hier geht es zur Anmeldung. DER AutorMartin Schwarz ist geschäftsführender Gesellschafter von AustriaContent. 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Oktober 2023
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