Viele Unternehmen wollen immer mehr Inhalte produzieren. Reflexhaft sollte dem Content Marketer da ekstatischer Jubel entfahren. Tut es aber eher nicht unbedingt. Lesen Sie stattdessen, warum ich bei unseren Workshops oft ein Bild des Serienkillers Michael Myers zeige, warum Mehr im Meer der Inhalte kaum auffällt und warum Flaschenpost eine nicht ganz sichere Methode zum Targeting ist. Von Martin Schwarz. Ein guter Freund von mir, mittlerweile in einem ganz anderen Gewerbe zugange, bis vor kurzem aber in ähnlicher Mission wie ich über die Teppichflure von Unternehmen wandelnd, fragt mich bei gelegentlichen Telefonaten gerne mal dies: „Wie geht es denn dem Inhalte-Verkauf?“. Was ihn interessiert, ist die Entwicklung unserer Agentur (danke der Nachfrage, alles bestens), doch natürlich ist unser Geschäft nicht der Verkauf von Inhalten. Freilich: wir beschäftigen ganz hervorragende Redakteur:innen, die des Wortedrechselns mächtig sind und wir vertrauen auf die Expertise von Social Media-Profis und Designer:innen. Doch Inhalte ohne Einbettung in eine thematische Architektur und Formulierung eines Kommunikationsziels sind per se Commodities: ihr Wert wird nicht durch ihre bloße Existenz bestimmt, sondern durch die Wirkung, die sie zu entfalten vermögen – was wiederum nur durch ihre Integration in eine Strategie möglich wird. Die Flaschenpost und das Grundrauschen Das Mehr ist kein Muss gegen den Mangel und das Viele oft der Feind des Richtigen: Manchmal, wenn wir Anfragen von Unternehmen erhalten, besteht der kommunizierte Wunsch unserer künftigen Kundschaft darin, ein inhaltliches „Grundrauschen“ zu erzeugen. Das ist erst einmal verständlich - und dennoch ist „Grundrauschen“ kein KPI. Das einzige legitime Grundrauschen im Leben ist die Hintergrundmusik auf einer Party; Musik, der keiner zuhört, weil ohnehin alle Gäste miteinander im Gespräch sind. Womit auch schon das Problem mit dem Grundrauschen erklärt ist: in einer digitalen Umgebung, in der ständig kommuniziert, nach Informationen gesucht, miteinander vernetzt wird, in der täglich alleine über Google 3,5 Milliarden Suchabfragen getätigt werden, ist die Herstellung von Grundrauschen ungefähr so sinnlos wie persönliche Briefe per Flaschenpost dem Rauschen des Ozeans zu überantworten. Content Marketing bedeutet eben nicht, von vielen gesucht, sondern von den Richtigen gefunden zu werden – und das wiederum funktioniert nur mit einer guten Strategie. Im Mehr der Inhalte Die Statistik-Plattform statista hat nun ihre Content Marketing-Trendstudie 2022 veröffentlicht – und wären wir tatsächlich bloß im Inhalte-Verkauf tätig, so würde glockengleicher Jubel meiner Kehle entfahren: 72 Prozent der B2B-Unternehmen und immerhin noch 54 Prozent der B2C-Unternehmen würden gerne mehr Inhalte veröffentlichen. Schön. Interessant aber wird es, wenn man diese ziemlich eindeutigen Zahlen vor die Ziele legt, die durch diese Inhalte erreicht werden sollen: 86 Prozent der B2B-Unternehmen wollen mit Content Marketing ihre Markenbekanntheit steigern. Um dieses Ziel zu erreichen, spielt Frequenz sicherlich eine gewisse Rolle – auch wenn ich das nicht als kognitive Kapitulation vor dem Argument des Grundrauschens verstanden wissen möchte. 85 Prozent der B2B-Unternehmen wollen mit ihren Inhalten Leads generieren: da nützen aber Frequenz und Aktionismus relativ wenig, Bedarfsanalyse, der richtige Nutzungskontext und natürlich das Nutzwertversprechen aber umso mehr. Und 78 Prozent der befragten B2B-Unternehmen wollen mit ihren Inhalten Vertrauen aufbauen – auch hier ist aber nicht Frequenz entscheidend. Manchmal ist sie sogar kontraproduktiv, weil die Voraussetzung für Vertrauen die Kommunikation von Kompetenz ist. Es gilt also, jenen thematischen Sweet Spot zu finden, bei dem zu beweisen gelingt, dass man da besser und informierter ist als der Mitbewerb. Je größer dieser Sweet Spot, desto schwieriger; je höher die Frequenz, desto ressourcenverschlingender. Wir sehen also: Mehr ist kein Must have, um Ziele zu erreichen, manchmal sogar das Gegenteil. Schocker Wenn wir zu Beginn unserer Partnerschaft mit einem Kunden Workshops abhalten, zeige ich manchmal ganz gerne eine Folie mit einem Bild des den Älteren unter uns aus diversen Halloween-Fernsehabenden bekannten Serienkillers Michael Myers. Über dem Bild steht „Der Content Shock“ – gefolgt von einer Folie, die zeigt, wie die Menge an Inhalten im Web beinahe exponentiell ansteigt im Vergleich zu der Zeit, die wir alle zur Verfügung haben, diese Inhalte auch zu konsumieren. Um doch Konsument:innen für Inhalte zu finden, müssen also immer mehr Ressourcen zur Verbesserung der Auffindbarkeit dieser Inhalte aufgewendet werden: SEO, Social Media, eventuell auch der eine oder andere Euro für Paid Media. Mit jedem neuen Inhalt, der irgendwo auf dieser Welt entsteht, wird dieser Inhalt in der Produktion teurer und bisherige Inhalte im ergebnisärmer. Spekulieren mit Inhalten Es gibt viele Methoden, das Delta zwischen Inhalte-Angebot und verfügbarer Konsumationszeit zu schließen. Eine Methode gegen den Wertverfall von Inhalten kann sein, mit Evergreen-Content die Halbwertszeit bei der Auffindbarkeit zu verlängern oder Content Hubs semantisch so zu organisieren, dass Inhalte einander verstärken. Sie sehen also, worauf es ankommt: Inhalte sind nur so gut wie ihr Umfeld und das ihnen zugrunde gelegte Kalkül. Seit Unternehmen – völlig zurecht – bemerkt haben, dass PR und klassische Medienarbeit ein Umweg sind, den sie eigentlich nicht mehr gehen müssen, um kommunikativ ihre Ziele zu erreichen und deshalb immer mehr Inhalte um Aufmerksamkeit ringen, nähern wir uns einem Zustand, der einen Text, ein Video, einen Podcast auch zu Spekulationsobjekten macht. Deren Wert erklärt sich aus ihrer Wirkung, aber ihre Wirkung ist auch sinistren Mächten wie den Algorithmen von Suchmaschinen oder ihrer Verfügbarkeit bei der Konkurrenz unterworfen. Diese Faktoren können wir selbst kaum beeinflussen. Was wir aber können, ist die Ausrichtung unserer Inhalte nach thematischen Gravitationsfeldern, eine realistische Einschätzung ihres tatsächlichen Nutzwertes, ihre Rolle als Vehikel auf dem Weg zur Erreichung unserer Ziele. Also: nein, wir sind nicht im Inhalte-Verkauf tätig. Idealerweise eher im Geschäft der Wertsteigerung. Und manchmal, ja manchmal kommt es sogar vor, dass wir unseren Kunden raten, weniger Inhalte zu produzieren: um mehr Wert zu generieren. Jetzt mal ehrlich: Sind Sie zufrieden mit Ihrer Content-Strategie? Machen Sie jetzt bei unserer Zwei Minuten-Umfrage mit und gewinnen Sie wertvolle Erkenntnisse – und vielleicht ein Buch. Der AutorMartin Schwarz ist geschäftsführender Gesellschafter von AustriaContent. Vernetzen Sie sich hier mit ihm auf LinkedIn. Kommentare sind geschlossen.
|
Archiv
Oktober 2023
|