Die Entwicklung von Personas gehört zu den eher unpopulären Prozess-Schritten beim Aufbau einer Content-Strategie. Doch die Mühsal im Jetzt ist das Momentum von Morgen. AustriaContent-Geschäftsführer Martin Schwarz plädiert in diesem Beitrag für saubere Personas – und das abermalige Lesen von Büchern, deren Erkenntnisbestand man schon vor Jahren als ausgeschöpft erachtet hat. Ich habe, wie wohl jeder von Ihnen auch, in meinem Leben schon vieles weggeworfen: Möbel, Fahrräder, Kühlschränke, Zeitungen, Träume, gute Vorsätze, so manchen Plan und ziemlich viele Texte. Eines aber habe ich noch nie der Kreislaufwirtschaft überantwortet: Bücher. In meinen Regalen finden sich Werke aus meiner Kindheit, deren Faszinations – und Erkenntnisniveau mit den Jahren subjektiv deutlich abgenommen hat, ebenso Bücher zu Themen, mit denen ich mich heute freiwillig nicht mehr beschäftigen wollen würde. Zug der Zeit Vor einigen Wochen habe ich auf einer längeren Bahnfahrt trotz funktionierenden W-LANs (es waren die ÖBB) wieder ein Buch zur Hand genommen, das ich vor fünf Jahren zuletzt gelesen hatte, mit dessen Thema ich in unserer Agentur täglich konfrontiert bin und von dem ich dennoch irgendwie die subkutan spürbare Erwartung hatte, dass seine abermalige Lektüre noch die eine oder andere Nische der kognitiven Mehrung zur Entdeckung freigibt: „Buyer Personas“ von Adele Revella ist für Content Marketing-Menschen wie mich so etwas wie ein Standardwerk zum Bau von Personas und die wiederum sind das theoretische Wurzelreich jeder blühenden Content Marketing-Kampagne. Mit der Konstruktion von Archetypen künftiger Content-Anwender:innen versuchen Menschen wie ich, die Motive und Ziele von Menschen zum Konsum von Inhalten herauszufiltern. Das geschieht über Interviews mit Bestandskund:innen eines Unternehmens, mit solchen, die beinahe Kund:innen geworden wären und auch solchen, die recht früh auf der Kundenreise aufs Gleis der Konkurrenz geraten sind und dort zufrieden vor sich hin fahren. Personas zu erstellen, bedingt also zuerst einmal die Fähigkeit, zuzuhören – und diese Fähigkeit zum Zuhören, zum Hineinfühlen, zum absichtsvollen Schweigen, zum Dialog, der erst einmal mit dem Monolog des oder der potenziellen Kund:in beginnt, ist vielleicht das, was gutes Content Marketing mehr als alles andere ausmacht: es ist Beziehungspflege im besten Sinne. Denk Dir Deine Kundschaft Wenn wir Content Marketing-Projekte aufsetzen und Workshops anbieten, spielt deshalb die Konstruktion von Personas immer eine ganz zentrale Rolle. Aber wir merken auch: die Verlockung, die Abkürzung zu nehmen und diesen manchmal auch durchaus mühseligen Prozess der Persona-Konstruktion zu umgehen, ist mancherorts groß. Statt tatsächlich Interviews zu führen, werden die Personas dann im Kommunikationsteam imaginiert oder die Sales-Abteilung stellvertretend für die Kundschaft befragt. Die Erkenntnis wird also zwischen Selbstgespräch und charakterlicher Dislokation gesucht. Klar: das kann bei wenig komplexen Projekten und bei einem sehr tiefgründigen Wissen über die Motivlage der eigenen Kundschaft vielleicht halbwegs funktionieren. Doch über Projektion und Intuition die Position der Kundschaft einzunehmen, ist üblicherweise – kommen wir doch wieder ein wenig zurück zur Literatur – ein Trick, der nur vergleichbar mit dem ist, was Stefan Zweig in seiner „Schachnovelle“ beschrieben hat: da beginnt der Protagonist Dr. B., unter grässlichen Umständen in Isolationshaft gehalten, gegen sich selbst Schach zu spielen, was nur gelingt, indem er zwei unabhängige geistige Instanzen schuf – anders formuliert: seine Persönlichkeit spaltete. Nebenbei bemerkt: die „Schachnovelle“ ist eines der bedrückendsten und eindrücklichsten belletristischen Werke, die man lesen kann. Kunden auf Reisen Die Gefahr jedenfalls, durch einen komfortablen Shortcut des Persona-Prozesses bloß ein Wunsch – und Zerrbild der tatsächlichen Motivlage von Content-Konsument:innen zu erhalten, ist erheblich. Denken Sie einmal daran, wie etwa Ihr Sales-Team an so ein Projekt herangehen würde: Können Sie sich darauf verlassen, dass Ihre Sales-Kolleg:innen tatsächlich die echten Gründe nennen würden, warum ein:e Kund:in sich für die Lösung des Markttrabanten entschieden hat? Nicht, dass Ihr Sales-Team Ihnen die Unwahrheit sagen würde. Aber vielleicht erzählen ja die Kunden Ihrem Sales-Team unter Umständen anlassbezogen eine andere Story als jemandem, der bloß Persona-Interviews macht. Und schließlich gibt es da noch mindestens eine weitere Hürde: weil immer mehr Stationen auf der Kundenreise digital und damit meist ohne Wissen des Sales-Teams beschritten werden, ist auch dessen Blick auf die Kundenreise recht eingeschränkt. Macht durch Machtlosigkeit Der zentrale Gedanke der Personas ist mit jenem von Content Marketing tief verwoben: dass die Macht, die man den künftigen Anwender:innen der eigenen Inhalte schon mit der bloßen Konstruktion der Personas zugesteht, deren kontextuale Hegemonie über ihre Rezeption unserer Texte, Podcasts oder Videos, erst die Wirkungsmacht des Content Marketings entfesselt. Dafür gibt es in den meisten Fällen keinen Ersatz und keinen Kompromiss. Denn wer die Abkürzung nehmen will, wird sich danach umso mehr bei der Content-Produktion verrenken müssen – und das verschlingt mindestens ebensolche Ressourcen wie saubere Persona-Forschung am Beginn. Das Buch von Adele Revella wird auch weiterhin in meinem Bestand bleiben, auch wenn ich es erst wieder in einigen Jahren lese. Denn Sie wissen ja nun: Bücher zu behalten, zahlt sich aus. Martin Schwarz Der AutorMartin Schwarz ist geschäftsführender Gesellschafter von AustriaContent. Vernetzen Sie sich mit ihm auf LinkedIn! Kommentare sind geschlossen.
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Oktober 2023
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