Engagement, Interaktion, CTRs: in der Social Media-Arbeit sind es vor allem solche Indikatoren, die eine Kampagne erfolgreich erscheinen lassen. Kaum von Bedeutung in der Kampagnen-Kalkulation sind dagegen die vielen Menschen, die viel lesen, aber selten schreiben, liken oder retweeten. Es ist die schweigende und beschwiegene Mehrheit in den sozialen Netzwerken, um die sich zu kümmern eventuell auch lohnen würde. Von Martin Schwarz. Schnell, interessant, unterhaltsam, manchmal auch erschütternd: zu meinen bevorzugten sozialen Netzwerken gehört seit Jahren Twitter – oft genug eine Petrischale des Wahnsinns, zuweilen auch eine soziale Wolke, in der so manch Geistesblitz sich entlädt. Es ist aber auch so: viel zu twittern habe ich eigentlich nicht. Manchmal vergehen Tage, bis ein Gedanke mich umflort, den anderen zur Kenntnis zu bringen mir irgendwie werthaltig erscheint. Aber: auf Twitter bin ich jeden Tag mehrmals, scrolle durch meinen Feed, amüsiere mich, bin schockiert, ziemlich verwundert, einigermaßen erheitert, manchmal sogar gefühlt informiert. Eigentlich typisch Ich bin also der typische Twitter-User, der das Netzwerk vor allem passiv nutzt. Laut einer Studie von Pew Research vom November letzten Jahres produzieren in den USA 25 Prozent der erwachsenen Twitter-User 97 Prozent der Inhalte – und auch die sind vor allem im Geschäft des Recycelns und virtuellen Streichelns tätig: die Mehrheit dieser Gruppe retweetet nur oder markiert Tweets anderer mit Likes, nur 14 Prozent der Beiträge dieser hoch aktiven Gruppe sind eigene Schöpfungen. Auf LinkedIn, dem weniger bunten Gegenstück von Twitter, ist die Lage eine ähnliche: nur knapp fünf Prozent der mehr als 800 Millionen User:innen posten da regelmäßig etwas, weitere 18 Prozent liken oder kommentieren – so jedenfalls eine Studie des LinkedIn-Auskenners Richard Van Der Bloms vom September 2021. Der Rest liest und schweigt, es sind so genannte Lurkers. Ich muss ja zugeben: LinkedIn ist für mich das große digitale Ooohhm – oft zwar inspirierend, gleichwohl regt mich dort selten etwas auf. Die scrollende Mehrheit Wenn wir anhand der obigen Zahlen davon ausgehen müssen, dass nur ein verschwindender Bruchteil der Millionen User:innen diese Netzwerke aktiv nutzt, die Mehrheit aber bloß durch die Feeds scrollt, sollten wir eventuell auch darüber sprechen, ob Engagement der ausschließlich richtige und einzig wertvolle Indikator für den Erfolg von Kampagnen ist. Likes und Kommentare können wir ja schließlich auch nur von jenen erwarten, die zur aktiven Elite der Netzwerke gehören – also sehr Wenigen von sehr Vielen. Das auch ökonomisch verwackelte Ziel von Social Media-Profis ist es ja bisher, darauf zu setzen, dass eine vergleichsweise verschwindend kleine Gruppe an Menschen mit einer Marke, einem Unternehmen auf digitalen Plattformen interagiert, indem Likes vergeben, Retweets produziert oder gar zur Website des jeweiligen Anbieters weitergeklickt wird. Vergleichsweise unwichtig ist in den Analysen von Social Media-Kampagnen dagegen jene schweigende Mehrheit an Nutzer:innen, die zwar sehen und lesen, aber niemals interagieren würden. Die Ohren zuhalten Die Obsession also, mit der bloß CTRs oder andere Formen von Interaktion als Goldstandard des sozialmedialen Tuns gewertet werden, Impressions aber kaum Beachtung finden, ist eine wirtschaftlich eigentlich unvernünftige Angelegenheit, bei der Aufwand und Nutzen wohl nicht immer in Balance stehen. Es ist, als würden Sie eine Party für 1.000 Menschen schmeißen, ein Buffet für 1.000 Menschen finanzieren, aber die ziemlich teure Band würde nur 50 der Anwesenden zu Applaus animieren, während sich die anderen in finstere Ecken weit weg von der Bühne verdrücken und sich die Ohren zuhalten. Zurück übersetzt wirft das die unangenehme Frage auf, ob der oder die passive Social Media-Nutzer:in nicht auch eine lohnenswerte Zielgruppe repräsentiert – und die kommunikativ effektiveren Inhalte von Unternehmen auf Social Media-Kanälen nicht tatsächlich auch die sein können, die es nicht um jeden Preis auf Engagement abgesehen haben, sondern so aufbereitet sind, dass sie entsprechend schnell auf jene große Gruppe an Menschen wirken, die rasch durch ihre jeweiligen Feeds scrollen. Also: schmeißen Sie Ihre Social Media-Party für die 1.000 Menschen, die Sie eingeladen, für deren Anwesenheit Sie vielleicht sogar bezahlt haben. Und treffen Sie keine Musikauswahl, der dann nur 50 Ihrer Gäste applaudieren würden. DER AutorMartin Schwarz ist geschäftsführender Gesellschafter von AustriaContent. Vernetzen Sie sich mit ihm auf LinkedIn. Kommentare sind geschlossen.
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Oktober 2023
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