Im Content Marketing haben wir eine Obsession mit der Nutzwertigkeit unserer Inhalte entwickelt. Denn Nutzwert, so unsere richtige Vermutung, bringt gute Google-Rankings und später vielleicht sogar viele Leads. Aber manchmal vergessen wir dabei, dass zu einem ausgeglichenen Content-Mix auch Inhalte gehören, die nicht auf kurzfristige Effekte ausgerichtet sein müssen. Wir müssen an dieser Stelle kurz über Miederwaren sprechen, denn es ist Miederware, die in diesem speziellen Fall zur Erkenntnis führt. Blenden wir also zurück ins Jahr 2005. Der Mineralwasser-Hersteller Evian hat eine wunderbare Idee für den Sommer: den Evian Water Bra, Unterwäsche, die mit kühlendem Wasser geflutet werden konnte. Eine gute Idee? Nicht so wirklich. Die Zweckerweiterung eines BHs als Wasserträger spielte in weiterer Folge keine wirklich tragende Rolle in der Strategie von Evian; der Water Bra wurde kurz nach seinem Launch wieder vom Markt genommen und gehört wohl zu den eher weniger rühmlichen Episoden in der Firmengeschichte von Evian.
Funktionsüberladung Die Überleitung zum Content Marketing fällt nun leichter, als Sie vermuten mögen: Erstens lernen wir – ganz nebenbei - daraus, dass Mineralwasser-Hersteller sich auf die Herstellung von Mineralwasser konzentrieren und das Miederwarengeschäft anderen überlassen sollten und zweitens, dass es nicht nur für Unterwäsche, sondern auch für Inhalte nur eine zugewiesene Funktion gibt – und man Inhalte nicht mit mehreren Funktionen und Zielen überladen sollte. Im Content Marketing hat sich leider eine gedankliche Unschärfe über dezidierte Ziele eines Inhalts eingeschlichen und der gern verwendete Begriff der Nutzwertigkeit ist wohl irgendwie schuld daran. Wenn wir im Content Marketing über einen Text, eine Infografik, ein Whitepaper, ein Video oder eine Podcast-Folge nachdenken, so übersetzen wir den Begriff der Nutzwertigkeit gerne mit Umsetzbarkeit. Wir gehen also oft davon aus, dass der oder die User:in gerade jetzt die Lösung für ein Problem sucht, Menschen sich also verhalten wie von Google-Algorithmen trainierte Bots und stets auf der Suche nach Antworten sind. Diese Menschen bezeichnen wir dann gerne als Entscheidungsträger und nehmen in großzügiger gedanklicher Amnestie an, dass unser Inhalt wohl irgendwie auch für jene von Interesse sein müsste, die vielleicht selbst gar nicht mit der unmittelbaren Lösung eines Problems betraut sind. Wir haben es mit einer möglicherweise manchmal schon beim Prozess der Persona-Erstellung entstandenen Unschärfe-Relation zu tun. Daher kommt es, dass wir uns manchmal dabei ertappen, vor allem taktischen Content zu produzieren; Inhalte also, die einen gewissen Praxisbezug haben, wohl formulierte und google-günstige Gebrauchs – und Handlungsanweisungen für professionelle Herausforderungen. Wir wenden uns also in unserem Tun an Menschen, die ihrerseits tun; Mitarbeiter:innen von Unternehmen, die jeden Tag To-do-Listen abzuarbeiten haben, deren diabolische Eigenschaft es aber ist, immer länger statt kürzer zu werden. Nicht bloß auf Bedürfnisse ausgerichtet Wenn Sie mit Ihrem Content den Plan verfolgen, auf Google besser zu ranken oder ihre Leser:innen rasch in eine Customer Journey einzureihen, so ist taktischer Content genau das Richtige für Sie und wir unterstützen Sie gerne dabei, diese Ziele zu erreichen. Allerdings gibt es, und da ist gedankliche Trennschärfe schon bei der Konzeption notwendig, auch Ziele, die Sie mit Content, der bloß situative Bedürfnisse erfüllt, nicht erreichen werden: Brand Building zum Beispiel und Viralität etwa auf sozialen Plattformen wohl auch in nur bescheidenem Maße. Mission: Vision Neben diesem To-do-Content existiert nämlich noch eine andere Content-Dimension, die zuweilen nicht besonders populär, für die Erreichung anderer Ziele aber enorm wichtig ist: Strategische Inhalte, die nicht das Tagesgeschäft der Macher:innen in Unternehmen erleichtern helfen, sondern einen langfristigen Wert alleine kraft ihrer zentralen Gedanken haben. To-Think-Content könnten wir es nennen, Content also nicht für Macher:innen, sondern für Entscheider:innen – und seien wir ehrlich: es gibt zwar eine Schnittmenge zwischen diesen beiden Gruppen, aber deckungsgleich sind sie in Unternehmen mitnichten. Der Geschäftsführer eines mittelständischen Maschinenbauers wird wohl weniger an Tipps für den möglichst effizienten Betrieb von Gabelstaplern in seinem Unternehmen interessiert sein als an gedanklicher Rohkost zu den Auswirkungen der digitalen Transformation auf seine Branche. Und ist er an den Gabelstaplern auch noch interessiert, so betreibt er wahrscheinlich Micro Management. Wir sprechen also von so genanntem Thought Leadership-Content, von Kommentaren oder Blogbeiträgen, die gedankliche Erwartungsmuster brechen und nicht darauf ausgerichtet sind, ein konkretes Problem lösen zu wollen. Wir sprechen von Inhalten, die nicht auf Keywords und zur maximalen Auffindbarkeit durch Suchmaschinen geschrieben sind; Inhalte auch, die höchstwahrscheinlich keine Leads bringen und den Vertrieb in Verzückung versetzen; Inhalte aber, die ob ihrer vermeintlichen Sperrigkeit und thematischen Tiefe Ihr Unternehmen als Autorität in einem bestimmten Fachgebiet, als hochwertigen Partner qualifizieren und eher die Executive-Ebene erreichen werden. Für Sie als Content-Verantwortliche heißt das: machen Sie sich rasch bewusst, ob Sie sowohl taktische wie auch strategische Inhalte anbieten und beide Kategorien entsprechend trennen oder ob Sie eher zu denjenigen gehören möchten, die einst den Water Bra für eine gute Idee hielten. Kommentare sind geschlossen.
|
Archiv
Oktober 2023
|