Mit Ihrer Content-Strategie bauen Sie Reputation, Kompetenzvermutung und Vertrauen auf. Mit Programmatic Advertising erreichen Sie das Gegenteil. Warum Sie auf programmatische Experimente verzichten sollten. Von Martin Schwarz. Die meisten Überzeugungen, die man sich im Laufe eines Lebens erwirtschaftet, kommen ja von einem dialektischen Reflex: man weiß, womit man hadert, bevor man überhaupt noch ahnt, womit man niemals hadern muss. Und ich bekenne: meine Überzeugungen über die Sinnhaftigkeit von Content Marketing wurden auch geformt vom Blick auf ein Umfeld im Marketing, bei dem stellenweise Grauen und Grausen sich aufbauen. Eines meiner Grauen ist die Tendenz mancher Segmente dieser Branche, mit bloßer Technologie ethische Fragen zudecken zu wollen – und damit immer wieder durchzukommen. Wundersame Wirkungsmehrung Jetzt ist es wieder einmal so weit: gerade habe ich ein Büchlein mit dem bezeichnenden Titel „Adscam“ gelesen. Der US-amerikanische Marketing-Rebell Bob Hoffman beschreibt darin, welchen Schaden eine Technologie verursacht, die von manchen gewieften Media-Strateg:innen als Lösung für möglichst großen Impact digitaler Werbung angepriesen wird und dabei harte Bibelwunder-Vibes, wie wir Semi-Bibelfesten aus der Geschichte über die wundersame Vermehrung von Brot und Fisch wissen, auslöst: „Dann nahm Jesus die Brote, sprach das Dankgebet und teilte an die Leute aus, so viel sie wollten; ebenso machte er es mit den Fischen. Als die Menge satt geworden war, sagte er zu seinen Jüngern: ‚Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verdirbt!“. Das, geschätzte Leserinnen und Leser, ist: Programmatic Advertising – nur das angenehme Sättigungsgefühl der Crowd dürfte in dem Fall ausbleiben und Wunder kann man in dem Fall auch keine erwarten. 72 Millionen Datenpunkte Das Prinzip ist nämlich einfach erklärt: statt auf einer von Ihnen ausgewählten Website zu werben, erscheint Ihre Display-Werbung auf tausenden Websites, die Sie nicht kennen und von deren Besuch Sie teilweise wahrscheinlich persönlich Abstand nehmen würden: Fake News-Schleudern, digitale Extremisten-Filialen, kurz gesagt ist das ganze Konzept ein Armageddon der Brand Safety. Vor allem aber verfolgen Sie damit User:innen über tausende Websites, während die dahinterliegende Technologie fleißig Daten sammelt, von denen Sie direkt recht wenig haben. Bob Hoffman zitiert in seinem Buch eine Studie, wonach es zu jedem durchschnittlichen 13jährigen Kind auf diesem Planeten mittlerweile bereits 72 Millionen Datenpunkte gibt, sofern dieses Kind irgendwann einmal in die Nähe eines Browsers gekommen ist. Wertverlust und Werteverlust Sollte das moralisch gefestigte Fundament, auf dem Sie zweifellos stehen, nun einen Moment lang wanken, werden Sie vielleicht denken: cool, das ist doch das Tracking der Träume. Doch halten Sie inne, edle:r Leser:in: cool ist gar nichts daran. Erstens bin ich noch immer davon überzeugt, dass Überwachung und Verfolgungsjagden Privileg der Schlapphut-Branche und nicht irgendeines Werbe-Sweatshops sein sollten. Zweitens: wenn Sie sich auf Programmatic Advertising einlassen, werden Sie feststellen, dass Ihr Geld entlang der seltsamen Verwertungskette von Händlern und teilweise obskuren Zwischenhändlern eine Hyperinflation durchmacht. Hoffman etwa rechnet in „Adscam“ nach, dass Sie für einen US-Dollar Investment gerade einmal 3 Cent Werbewert bekommen. Und drittens: auch wenn Ihnen die Programmatic People gerne erzählen, dass das für diese Art der digitalen Werbung notwendige Tracking den Komfort der User:innen und damit die Liebe zu Ihrem Unternehmen in wahrlich unermessliche Höhen treibt, so ist Liebesentzug die wahrscheinlichere Folge. Laut einer von Hoffman zitierten Umfrage von Pew Research in den USA gaben 81 Prozent der befragten User:innen an, dass die Risiken infolge des Datensammelns für sie höher wiegen als die persönlichen Benefits. Und ganz abgesehen davon muss man schon sehr überzeugt von Programmatic sein, um annehmen zu können, dass der/die User:in sich bei der Klickreise durchs Web denkt: „Ach, wie entzückend, da ist dieser heiß geliebte Banner wieder, der mich dazu einlädt, nochmal das Bügelbrett zu kaufen, das schon seit drei Wochen in meiner Waschküche steht.“ Wozu denn eigentlich? Content Marketing ist nun nichts anderes als die ideelle Antipode zu Programmatic Advertising. Wenn Sie Content Marketing betreiben, wissen Sie jederzeit, wo Ihre Inhalte platziert sind – meistens ja auf Ihren eigenen Plattformen. Sie verfolgen User:innen nicht quer durch das Internet. Sie sammeln hoffentlich nicht klandestin Daten, sondern tauschen bei Gated Content Daten gegen Mehrwert. Und vermutlich wird Ihr Content bis zu dessen Erscheinen auch durch weniger bettelnde Hände gehen als es Ihre Werbemittel beim Programmatic Advertising tun. Bonus: Ihr Content wird als werthaltig, als nützlich empfunden und nicht als Belästigung, weil Sie mit Ihren Personas die Bedürfnisse Ihrer Leser:innen ohnehin aus der Weitwinkel-Perspektive erkennen. Selbstverständlich hat jede Disziplin im Marketing ihre eigene Funktion, ihre eigenen Ziele und Content Marketing lässt sich natürlich nicht gegen Display-Werbung abtauschen oder umgekehrt. Doch wenn Sie das Vertrauen in Ihr Unternehmen, die Vermutung in Ihre Kompetenz, die Bindung Ihrer Kund:innen zu Ihnen nicht aufs Spiel setzen möchten, so kann ich Ihnen nur programmatische Enthaltsamkeit empfehlen. Auf der einen Seite mit Content auf Owned Media-Kanälen das Gewebe zwischen Ihnen und Ihren Kund:innen zu stärken und auf der anderen Seite eben jenes Gewebe durch programmatische Commodities zu zerstören, ist ein strategisches Nullsummenspiel. Gerade in einer Phase, in der Ungewissheit die einzig verlässliche Variante der Gewissheit ist, braucht es umso mehr Aufmerksamkeit für die Brand Safety. Ein programmatisch bedingter Blindflug Ihrer Display-Werbung trägt nicht dazu bei; direkte Buchungen Ihrer Display-Werbung bei ausgewählten Anbietern und das ureigene Wesen des Content Marketings aber schon. In seinem Nachwort schreibt Bob Hoffman: „Wir müssen das Tracking verbieten.“ Das glaube ich auch. Aus einem einfachen Grund: wir brauchen einfach nicht diese Art von Targeting, wenn wir mit unseren Inhalten, unseren Botschaften, unserer Kreativität überzeugen. Der AutorMartin Schwarz ist geschäftsführender Gesellschafter von AustriaContent. Vernetzen Sie sich jetzt mit ihm auf LinkedIn! Kommentare sind geschlossen.
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Oktober 2023
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